Love Everyone!

Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.“ — Theodor W. Adorno,

Zum Ende unseres diesjährigen Transformational Retreats in Süditalien, sagte ich zu meiner Freundin und Retreat-Co-Leiterin: Weisst Du, warum ich diese Arbeit mache? Wenn sich die Leute so authentisch zeigen und ihre Freuden und Sorgen teilen, kann man einfach nicht anderes, als sie lieb haben!

So oft höre ich in Talks über Psychologie, Buddhismus oder Achtsamkeit, dass Menschen sich nicht trauen, sich so zeigen wie sie «wirklich» sind, ihr Herz zu öffnen und zu ihren Sorgen und Ängsten und Träumen zu stehen. Weil sie Angst haben, so wie sie «wirklich sind», nicht liebenswert zu sein. Gerade hörte ich einen Podcast von Dr Rangan Chatterjee mit Dr Gabor Maté, in dem sie über die «5 regrets of the dying» sprachen. Dr Mate sprach genau dieses Thema an: viele Menschen entwickeln in ihrer Kindheit die Überzeugung, dass ihre «wahren», das heisst vor allem ihre unangenehmen Gefühle – wie Wut, Angst oder Scham - nicht willkommen sind. Später im Leben bereuen sie, dass sie den Mut nicht hatten, sich treu zu sein. Oder einfach: glücklicher.

Maté meint aber, es ginge gar nicht darum, Mut zu haben. Denn das ist ja eigentlich wieder ein Selbstvorwurf: wir haben es wieder mal nicht «richtig» gemacht! Es geht eher darum, zu verstehen, welche Lebenserfahrungen und Überzeugungen dazu geführt haben, dass wir nicht zu uns stehen können. Indem wir diese Muster erkennen und hinterfragen, können wir sie weniger ernst nehmen und uns dann ganz automatisch treuer sein. Dieses Hinterfragen unserer Gedankenmuster und Glaubenssätze ist ein wichtiger Teil der Achtsamkeit und immer ein zentraler Aspekt in all unseren Retreats und Kursen. Durch die Praxis erkennen wir, dass wir dem Glaubenssatz «ich muss etwas leisten, um geliebt zu werden» genau so viel Wert zubilligen können wie unserer Einkaufsliste – es sind einfach Gedanken. Es kann sehr befreiend sein zu erkennen, dass wir die Wahl haben, wie ernst wir unsere Gedanken nehmen möchten.

Wenn wir uns selbst und anderen mit einer Haltung von Offenheit, Wohlwollen, Interesse und Urteilsfreiheit begegnen, entsteht ganz von allein ein Raum, in dem wir und die anderen uns zeigen können: verletzlich, fröhlich, schwach, stark, eifersüchtig, mitfühlend. Diese Erfahrung mache ich in all meinen Retreats, Workshops und Einzelberatungen. Gerade wenn einzelne Teilnehmende bereit sind – und hier ist dann doch Mut gefragt, die etwaige Scham zu überwinden – sich (von ganzem Herzen) für der Gruppe zu öffnen, entsteht ein Meer von Mitgefühl und Mitfreude. Was den meisten Menschen so besonders gut tut ist diese Erfahrung, dass ihre Authentizität weder Abneigung noch Neid noch Macht auslösen, sondern Liebe, Wohlwollen, Mitgefühl und Mitfreude. Diese Erfahrung der tiefen inneren und äusseren Verbundenheit, ist es, was heilend (und transformativ) wirkt, im Sinne des «Ganz-Seins» mit all unseren 10'000 Sorgen und 10'000 Freuden wie es im Buddhismus so schön heisst.

Zurück im Alltag ist das natürlich gar nicht so einfach! Wir sind ständig herausgefordert, unsere soziale Identität zu vertreten, unsere Grenzen zu setzen, unser «Gärtchen» zu schützen. So kann es hilfreich sein, ein paar Minuten im öffentlichen Verkehr zur Arbeit, oder ein paar Atemzüge bevor wir unsere Emails checken, wieder in diese Verbundenheit einzutauchen: mit unserem Atem, unserem Körper, unseren Gefühlen und Gedanken. Wir können unseren Geist auf Wohlwollen ausrichten. Gerade in herausfordernden Situationen können wir versuchen, diese innere Freundschaft mit uns selbst zu kultivieren, anstatt uns selbst gegenüber am härtesten zu urteilen. Wir lernen eher aus unseren Fehlern, wenn wir mitfühlender mit uns selbst sind.

So können uns Präsenz und eine Grundhaltung von Wohlwollen, Mitgefühl und Mitfreude letztlich ein Stückweit zu besseren Menschen machen.  Sie stärken unsere körperliche und mentale Resilienz und ermöglichen es uns, besser für andere da zu sein. Und weil ein Leben, das getragen ist von Mitgefühl und Freude, schlicht mehr Spass macht!


Further reading /listening

The Top Five Regrets of the Dying: A Life Transformed by the Dearly Departing by Bronnie Ware:

1) “I wish I'd had the courage to live a life true to myself, not the life others expected of me.” 2) “I wish I hadn't worked so hard.” 3) “I wish I'd had the courage to express my feelings.” 4) “I wish I had stayed in touch with my friends.” 5) “I wish I had let myself be happier” (p. v).

#440 Dr Gabor Maté: The 5 Life Lessons People Learn Too Late, Why We Should Stop Trying To Live Longer & How Curiosity Leads To Compassion
Feel Better, Live More with Dr Rangan Chatterjee